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. Ich habe beobachtet, daß Pferde häufig lügen. Pferde laufen gerne, aber sie tun immer so, als wäre es eine schreckliche Zumutung, wenn man sie dazu auffordert. »Wie war es, Tante Pol?« wollte Geran eines Abends nach dem Essen von mir wissen. Wir hatten unsere Decken auf dem Boden ausgebreitet, das Lagerfeuer war zu glühenden Kohlen heruntergebrannt, und die Dunkelheit umfing uns gemütlich und freundlich. »Ich meine, wie war es, im Tal aufzuwachsen, so von Magie und Zauberern umgeben, wie du es warst?« »Meine Schwester und ich kannten ja kein anderes Leben, Geran. Für uns war das also nichts Besonderes.« »Sie war meine Großmutter, nicht wahr? Deine Schwester, meine ich.« »Deine Urmutter, ja.« Ich vermied es gewissenhaft, bestimmte Dinge zu erwähnen. Geran mußte jetzt wirklich noch nichts von Mutter wissen. Ich legte mich zurück und sah zu den Sternen hinauf. »Unser Vater war bei unserer Geburt in Mallorea«, erzählte ich ihm. »Er und Bärenschulter und die Söhne stahlen Torak den Orb.« »Es war doch kein richtiges Stehlen, nicht wahr? Ich meine, der Orb gehörte doch uns. Torak war derjenige, der ihn gestohlen hatte.« »Na ja, er hat ihn dem Meister gestohlen, aber das läuft wohl auf dasselbe hinaus, vermute ich. Jedenfalls wurden meine Schwester und ich von Onkel Beldin großgezogen.« Geran kicherte. »Ich mag ihn«, erklärte er. »Ja, das ist mir aufgefallen.« Dann fuhr ich mit einer leicht bereinigten Version meiner Kindheit im Tal fort. Geran lauschte aufmerksam. Wenn ihr die ungeteilte Aufmerksamkeit eines kleinen Jungen erringen wollt, erzählt ihm Geschichten. Nach einer Weile schlief er indes ein, und ich verstummte. Eine Zeitlang verfolgte ich die endlose Prozession der Sterne über das Firmament, wobei mir auffiel, daß sich einige der Konstellationen verändert hatten, seit ich sie mir das letzte Mal genauer angesehen hatte. Und dann schlief auch ich ein. Als wir an meinem Haus ankamen, bemerkte ich etwas Eigenartiges. Ich hatte es häufig besucht, seit ich es unter Rosen begraben hatte, und bei all diesen Besuchen hatte es fast unerträglich verlassen gewirkt ein leeres Gebäude, das nicht hätte leerstehen dürfen. Doch nun wirkte es überhaupt nicht mehr einsam und verlassen. Geran lebte mit mir dort, und das war es, was ich wirklich brauchte. Ich entschied, daß wir jetzt wohl auf den Hausputz verzichten konnten. Geran hatte gelernt, mit dem Verlust seiner Familie zu leben, und er schien seine ganze Zeit in der Bibliothek mit dem Studium meiner Abschriften des Mrin und Darinekodex verbringen zu wollen. Zu guter Letzt reagierte er mit derselben Frustration auf den Mrin, die dieser in jedem von uns hervorruft. »Es ergibt keinen Sinn, Tante Pol!« rief er eines Abends aus und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Ich weiß«, entgegnete ich. »Das soll es auch nicht.« »Warum vergeuden wir dann alle soviel Zeit damit?« »Weil er uns sagt, was in der Zukunft geschieht.« »Aber wenn wir keinen Sinn darin erkennen können, wie soll er uns dann helfen?« »Oh, ein wenig Sinn können wir schon darin erkennen, wenn wir an ihm arbeiten. Der Mrin ist so verworren, damit Leute, die das Ganze nichts angeht, nicht herausfinden können, was passieren wird.« »Du meinst, es ist verschlüsselt?« »So kann man es ausdrücken, ja.« »Ich glaube, ich bleibe bei dem anderen dem Darine. Er ist einfacher zu lesen und nicht so mit Tintenklecksen übersät.« »Wie du möchtest, Geran.« Es wunderte und freute mich mehr als nur ein wenig, zu entdecken, daß mein junger Neffe eine erstaunlich rasche Auffassungsgabe besaß. Schließlich war er als Alorner aufgewachsen, und von einem Alorner erwartet man alles andere als Verstand abgesehen von den Drasniern natürlich. Ein Drasnier verwendet seinen Verstand aber nahezu ausschließlich dafür, seine Nachbarn zu betrügen. Nie würde er ihn an so etwas wie philosophische Gedanken verschwenden. Geran und ich lebten mehrere Jahre ruhig und ungestört in unserem abgeschiedenen Haus. Er brauchte Zeit, um erwachsen zu werden, und ich brauchte Zeit, um mich an meine neue Aufgabe zu gewöhnen. Er war etwa zwölf und kam gerade in den Stimmbruch, als ihm eine überraschend scharfsinnige Idee kam. »Weißt du, was ich gerade denke, Tante Pol?« »Was denn, Liebes?« »Ich beschäftige mich schon die ganze Zeit damit, und mir will es scheinen, als ob du und Großvater und unsere Onkel außerhalb von Zeit und Welt existieren, in der wir anderen Menschen leben. Es ist beinahe, als lebtest du irgendwo anders nur daß es gleichzeitig auch hier ist.« Ich legte mein Buch beiseite. »Red weiter, Geran«, ermunterte ich ihn. »Diese andere Welt, in der ihr lebt, ist um uns, die anderen, herum, nur daß wir sie nicht sehen können. Dort herrschen auch andere Regeln. Ihr müßt alle Tausende von Jahren leben, und ihr müßt lernen, Magie zu benutzen, und ihr müßt eine Menge Zeit damit zubringen, alte Bücher zu lesen, die niemand von uns verstehen kann. Dann, alle paar Jahrhunderte einmal, müßt ihr in unsere Welt hinaus und den Königen sagen, was sie tun sollen, und dann müssen sie es tun, ob es ihnen gefällt oder nicht. Na ja, ich wunderte mich nur, warum. Warum brauchen wir zwei Welten? Warum nicht einfach eine einzige? Dann habe ich es begriffen. Es ist sogar noch komplizierter, als ich gedacht hatte, denn es sind nicht nur zwei, sondern drei Welten. Die Götter leben in einer Welt da draußen zwischen den Sternen , und gewöhnliche Menschen wie ich leben hier in dieser Welt, wo nie etwas besonders Ungewöhnliches passiert [ Pobierz caÅ‚ość w formacie PDF ]
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. Ich habe beobachtet, daß Pferde häufig lügen. Pferde laufen gerne, aber sie tun immer so, als wäre es eine schreckliche Zumutung, wenn man sie dazu auffordert. »Wie war es, Tante Pol?« wollte Geran eines Abends nach dem Essen von mir wissen. Wir hatten unsere Decken auf dem Boden ausgebreitet, das Lagerfeuer war zu glühenden Kohlen heruntergebrannt, und die Dunkelheit umfing uns gemütlich und freundlich. »Ich meine, wie war es, im Tal aufzuwachsen, so von Magie und Zauberern umgeben, wie du es warst?« »Meine Schwester und ich kannten ja kein anderes Leben, Geran. Für uns war das also nichts Besonderes.« »Sie war meine Großmutter, nicht wahr? Deine Schwester, meine ich.« »Deine Urmutter, ja.« Ich vermied es gewissenhaft, bestimmte Dinge zu erwähnen. Geran mußte jetzt wirklich noch nichts von Mutter wissen. Ich legte mich zurück und sah zu den Sternen hinauf. »Unser Vater war bei unserer Geburt in Mallorea«, erzählte ich ihm. »Er und Bärenschulter und die Söhne stahlen Torak den Orb.« »Es war doch kein richtiges Stehlen, nicht wahr? Ich meine, der Orb gehörte doch uns. Torak war derjenige, der ihn gestohlen hatte.« »Na ja, er hat ihn dem Meister gestohlen, aber das läuft wohl auf dasselbe hinaus, vermute ich. Jedenfalls wurden meine Schwester und ich von Onkel Beldin großgezogen.« Geran kicherte. »Ich mag ihn«, erklärte er. »Ja, das ist mir aufgefallen.« Dann fuhr ich mit einer leicht bereinigten Version meiner Kindheit im Tal fort. Geran lauschte aufmerksam. Wenn ihr die ungeteilte Aufmerksamkeit eines kleinen Jungen erringen wollt, erzählt ihm Geschichten. Nach einer Weile schlief er indes ein, und ich verstummte. Eine Zeitlang verfolgte ich die endlose Prozession der Sterne über das Firmament, wobei mir auffiel, daß sich einige der Konstellationen verändert hatten, seit ich sie mir das letzte Mal genauer angesehen hatte. Und dann schlief auch ich ein. Als wir an meinem Haus ankamen, bemerkte ich etwas Eigenartiges. Ich hatte es häufig besucht, seit ich es unter Rosen begraben hatte, und bei all diesen Besuchen hatte es fast unerträglich verlassen gewirkt ein leeres Gebäude, das nicht hätte leerstehen dürfen. Doch nun wirkte es überhaupt nicht mehr einsam und verlassen. Geran lebte mit mir dort, und das war es, was ich wirklich brauchte. Ich entschied, daß wir jetzt wohl auf den Hausputz verzichten konnten. Geran hatte gelernt, mit dem Verlust seiner Familie zu leben, und er schien seine ganze Zeit in der Bibliothek mit dem Studium meiner Abschriften des Mrin und Darinekodex verbringen zu wollen. Zu guter Letzt reagierte er mit derselben Frustration auf den Mrin, die dieser in jedem von uns hervorruft. »Es ergibt keinen Sinn, Tante Pol!« rief er eines Abends aus und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Ich weiß«, entgegnete ich. »Das soll es auch nicht.« »Warum vergeuden wir dann alle soviel Zeit damit?« »Weil er uns sagt, was in der Zukunft geschieht.« »Aber wenn wir keinen Sinn darin erkennen können, wie soll er uns dann helfen?« »Oh, ein wenig Sinn können wir schon darin erkennen, wenn wir an ihm arbeiten. Der Mrin ist so verworren, damit Leute, die das Ganze nichts angeht, nicht herausfinden können, was passieren wird.« »Du meinst, es ist verschlüsselt?« »So kann man es ausdrücken, ja.« »Ich glaube, ich bleibe bei dem anderen dem Darine. Er ist einfacher zu lesen und nicht so mit Tintenklecksen übersät.« »Wie du möchtest, Geran.« Es wunderte und freute mich mehr als nur ein wenig, zu entdecken, daß mein junger Neffe eine erstaunlich rasche Auffassungsgabe besaß. Schließlich war er als Alorner aufgewachsen, und von einem Alorner erwartet man alles andere als Verstand abgesehen von den Drasniern natürlich. Ein Drasnier verwendet seinen Verstand aber nahezu ausschließlich dafür, seine Nachbarn zu betrügen. Nie würde er ihn an so etwas wie philosophische Gedanken verschwenden. Geran und ich lebten mehrere Jahre ruhig und ungestört in unserem abgeschiedenen Haus. Er brauchte Zeit, um erwachsen zu werden, und ich brauchte Zeit, um mich an meine neue Aufgabe zu gewöhnen. Er war etwa zwölf und kam gerade in den Stimmbruch, als ihm eine überraschend scharfsinnige Idee kam. »Weißt du, was ich gerade denke, Tante Pol?« »Was denn, Liebes?« »Ich beschäftige mich schon die ganze Zeit damit, und mir will es scheinen, als ob du und Großvater und unsere Onkel außerhalb von Zeit und Welt existieren, in der wir anderen Menschen leben. Es ist beinahe, als lebtest du irgendwo anders nur daß es gleichzeitig auch hier ist.« Ich legte mein Buch beiseite. »Red weiter, Geran«, ermunterte ich ihn. »Diese andere Welt, in der ihr lebt, ist um uns, die anderen, herum, nur daß wir sie nicht sehen können. Dort herrschen auch andere Regeln. Ihr müßt alle Tausende von Jahren leben, und ihr müßt lernen, Magie zu benutzen, und ihr müßt eine Menge Zeit damit zubringen, alte Bücher zu lesen, die niemand von uns verstehen kann. Dann, alle paar Jahrhunderte einmal, müßt ihr in unsere Welt hinaus und den Königen sagen, was sie tun sollen, und dann müssen sie es tun, ob es ihnen gefällt oder nicht. Na ja, ich wunderte mich nur, warum. Warum brauchen wir zwei Welten? Warum nicht einfach eine einzige? Dann habe ich es begriffen. Es ist sogar noch komplizierter, als ich gedacht hatte, denn es sind nicht nur zwei, sondern drei Welten. 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